Geschichten und Texte
zur Verwendung in GFK-Seminaren

Die zwei Wölfe

Das Floß über den Fluss…

Der Samurai und der Mönch

Aber die Hummel…

Wirklich schwierig…

Glück oder Unglück

Der Riese unserer Träume, der Zwerg unserer Ängste

Die Anekdote von Jesus

Das ist Leben


Die zwei Wölfe

Ein indianischer Großvater sprach mit seinem Enkel über seine Gefühle angesichts einer kürzlich erlebten Tragödie.
Er sagte: „Weißt du, es ist so, als ob zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen. Einer der Wölfe ist rachsüchtig, wütend und gewalttätig. Der andere ist im Schmerz, voller Trauer und Mitgefühl.“
Der Enkel wurde ganz aufgeregt und fragte: „Aber Großvater – welcher Wolf wird denn nun den Kampf in deinem Herzen gewinnen?“
Der Großvater lächelte und sagte: „Derjenige, den ich füttere.“

Das Floß über den Fluss…

Stellt euch einen wirklich wunderbaren, schönen und heiligen Ort vor. Stellt euch vor, Ihr könntet wirklich Gott kennen lernen, wenn ihr an diesen Ort kämt. Aber nehmen wir an — da ist ein Fluss zwischen Euch und dem Ort. Und um dorthin zu kommen, müsstet ihr über diesen Fluss. Ihr beschafft euch also ein Floß — und dieses Floß ist wirklich geeignet, euch über den Fluss zu bringen. Und am anderen Ufer könntet ihr leicht den restlichen Weg zu Fuß zurücklegen.
Die buddhistische Geschichte endet nun damit, dass sie sagt:
Derjenige ist ein Narr, der nach der Überquerung des Flusses sich das Floß auf den Rücken bindet und weiter mit sich trägt.

Marshall B. Rosenberg:
Die Gewaltfreie Kommunikation ist etwas, um mich über den Fluss – meine kulturelle Konditionierung – hinweg zu bringen, sodass ich leichter an diesen gewünschten Ort gelangen kann. Sie ist nicht der Ort.

Der Samurai und der Mönch

Ein großer harter Samurai ging einmal einen kleinen Mönch besuchen. "Mönch, sagte er in einem Ton, der sofortigen Gehorsam gewohnt war, "lehre mich etwas über Himmel und Hölle!" Der Mönch sah zu dem mächtigen Krieger auf und entgegnete voller Verachtung: "Dich etwas über Himmel und Hölle lehren? Überhaupt nichts könnte ich dich lehren. Du bist schmutzig. Du stinkst. Deine Klinge ist rostig. Du bist eine Scham und Schande für die Klasse der Samurai. Geh mir aus den Augen. Ich kann dich nicht ertragen." Der Samurai war wütend. Er zitterte, wurde ganz rot im Gesicht, war sprachlos vor Wut. Er zog sein Schwert und hob es in die Höhe, um den Mönch damit zu erschlagen. "Das ist die Hölle." sagte der Mönch sanft. Der Samurai war überwältigt. Das Mitgefühl und die Ergebenheit dieses kleinen Mannes, der sein Leben hergab, um ihm diese Lehre zu geben und ihm die Hölle zu zeigen! Langsam senkte er sein Schwert, erfüllt von Dankbarkeit und plötzlichem Frieden. "Und das ist der Himmel", sagte der Mönch sanft.

Aber die Hummel…

„Nach den anerkannten flugmechanischen Gesetzen kann die Hummel wegen ihrer Gestalt und ihres Gewichtes im Vergleich zur Flügelfläche nicht fliegen. Aber die Hummel weiß es nicht und fliegt trotzdem.“

Wirklich schwierig…

Ein junger Mann kam zum Meister und berichtete ihm von seinen Erlebnissen. „Im Himalaya traf ich einen weisen, alten Mann, der in die Zukunft sehen kann. Diese Kunst lehrte er auch seinen Schülern“, sprach er voller Begeisterung. „Das kann jeder“, sprach der Meister ruhig. „Mein Weg ist viel schwieriger.“ „Wirklich?“ fragte der junge Mann. „Wie ist Euer Weg, Herr?“ „Ich bringe den Menschen bei, die Gegenwart zu sehen.“

Glück oder Unglück

Ein alter Mann lebte in einem Dorf, sehr arm, aber selbst Könige waren neidisch auf ihn, denn er besaß ein wunderschönes weißes Pferd. Könige boten phantastische Summen für das Pferd, aber der Mann sagte dann: „Dieses Pferd ist für mich kein Pferd, sondern ein Freund. Und wie könnte man einen Freund verkaufen?“ Der Mann war arm, aber sein Pferd verkaufte er nie.
Eines Morgens fand er sein Pferd nicht im Stall. Das ganze Dorf versammelte sich und die Leute sagten: „Du dummer alter Mann! Wir haben immer gewußt, daß das Pferd eines Tages gestohlen würde. Es wäre besser gewesen, es zu verkaufen. Welch ein Unglück!“
Der alte Mann sagte: „Geht nicht so weit, das zu sagen. Sagt einfach: das Pferd ist nicht im Stall. Soviel ist Tatsache, alles andere ist Urteil. Ob es ein Unglück ist oder ein Segen, weiß ich nicht, weil dies ja nur ein Bruchstück ist. Wer weiß, was darauf folgen wird?“
Die Leute lachten den Alten aus. Sie hatten schon immer gewußt, daß er ein bißchen verrückt war. Aber nach fünfzehn Tagen kehrte eines Abends das Pferd plötzlich zurück. Es war nicht gestohlen worden, sondern in die Wildnis ausgebrochen. Und nicht nur das, es brachte auch noch ein Dutzend wilder Pferde mit.
Wieder versammelten sich die Leute und sie sagten: „Alter Mann, du hattest recht. Es war kein Unglück, es hat sich tatsächlich als ein Segen erwiesen.“ Der Alte entgegnete: „Wieder geht ihr zu weit. Sagt einfach: das Pferd ist zurück .... wer weiß, ob das ein Segen ist oder nicht? Es ist nur ein Bruchstück. Ihr lest nur ein einziges Wort in einem Satz – wie könnt ihr das ganze Buch beurteilen?“
Dieses Mal wußten die Leute nicht viel einzuwenden, aber innerlich dachten sie, daß der Alte unrecht hatte. Zwölf herrliche Pferde waren gekommen…
Der alte Mann hatte einen einzigen Sohn, der begann die Wildpferde zu trainieren. Schon eine Woche später fiel er vom Pferd und brach sich die Beine. Wieder versammelten sich die Leute, und wieder urteilten sie. Sie sagten: „Wieder hattest du recht! Es war ein Unglück. Der einzige Sohn kann nun seine Beine nicht mehr gebrauchen und er war die einzige Stütze deines Alters. Jetzt bist du ärmer als je zuvor.“
Der Alte antwortete: „Ihr seid besessen von Urteilen. Geht nicht so weit. Sagt nur, daß mein Sohn sich die Beine gebrochen hat. Niemand weiß, ob dies ein Unglück oder ein Segen ist. Das Leben kommt in Fragmenten, und mehr bekommt ihr nie zu sehen.“
Es ergab sich, daß das Land nach ein paar Wochen einen Krieg begann. Alle jungen Männer des Ortes wurden zwangsweise zum Militär eingezogen. Nur der Sohn des alten Mannes blieb zurück, weil er verkrüppelt war. Der ganze Ort war von Klagen und Wehgeschrei erfüllt, weil dieser Krieg nicht zu gewinnen war und man wußte, daß die meisten der jungen Männer nicht nach Hause zurückkehren würden.
Sie kamen zu dem alten Mann und sagten: „Du hattest recht, alter Mann – es hat sich als Segen erwiesen. Dein Sohn ist zwar verkrüppelt, aber immerhin ist er noch bei dir. Unsere Söhne sind für immer fort.“ Der alten Mann antwortete wieder: „Ihr hört nicht auf zu urteilen. Niemand weiß! Sagt nur dies: daß man eure Söhne in die Armee eingezogen hat und daß mein Sohn nicht eingezogen wurde. Doch nur Gott, nur das Ganze weiß, ob dies ein Segen oder ein Unglück ist.“ (aus China zur Zeit Laotses)

Der Riese unserer Träume, der Zwerg unserer Ängste

Ich bin hier, weil es letztlich kein Entrinnen vor mir selbst gibt. Solange ich mir nicht selbst in den Augen und Herzen meiner Mitmenschen begegne, bin ich auf der Flucht. Solange ich nicht zulasse, dass meine Mitmenschen an meinem Innersten teilhaben, gibt es für mich keine Geborgenheit.
Solange ich mich fürchte, durchschaut zu werden, kann ich weder mich selbst noch andere erkennen – ich werde allein sein.
Wo kann ich solch einen Spiegel finden, wenn nicht in unserer Gemeinsamkeit. Hier in der Gemeinschaft kann ich erst richtig klar über mich werden und mich nicht mehr als den Riesen meiner Träume oder den Zwerg meiner Ängste sehen, sondern mich selbst – Teil eines Ganzen – zu ihrem Wohl einen Beitrag leisten. In solchem Boden können wir Wurzeln schlagen und wachsen; nicht mehr allein – wie im Tod – sondern lebendig als Mensch unter Menschen. (Richard Beauvais · 1964)

Die Anekdote von Jesus

Ich fragte einmal Onkel Julius, wie er sich ein so bemerkenswertes Potential, einfühlsam zu geben, angeeignet hatte. Er schien sich durch meine Frage geehrt zu fühlen und dachte über sie nach, bevor er antwortete: „Ich war mit guten Lehrern gesegnet.“ Als ich fragte, wer sie waren, erinnerte er sich: „Deine Großmutter war die beste Lehrerin, die ich hatte. Du hast erst mit ihr zusammengelebt, als sie schon krank war, deshalb weißt du nicht, wie sie wirklich war. Hat dir deine Mutter zum Beispiel mal von der Zeit während der wirtschaftlichen Depression erzählt, als deine Großmutter einen Schneider, der sein Haus und sein Geschäft verloren hatte, mit Frau und zwei Kindern bei sich zu Hause aufnahm?“ Ich konnte mich gut an diese Geschichte erinnern. Sie hatte einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, als meine Mutter mir zum ersten Mal davon erzählte, weil ich mir nie vorstellen konnte, wo Großmutter Platz gefunden hatte für die Familie des Schneiders in ihrem bescheidenen Haus, wo sie ihre eigenen neun Kinder großzog!
Onkel Julius rief die Erinnerung an das Mitgefühl meiner Großmutter noch in weiteren Anekdoten wieder wach, die ich alle als Kind gehört hatte. Dann fragte er: „Deine Mutter hat dir sicher auch von Jesus erzählt, oder?“ „Von wem?“ „Jesus.“ „Nein, sie hat mir nie von Jesus erzählt.“
Die Geschichte über Jesus war das letzte kostbare Geschenk, daß ich von meinem Onkel erhielt, bevor er starb. Es ist eine wahre Begebenheit aus einer Zeit, als ein Mann an Großmutters rückwärtiger Tür anklopfte und um etwas zu essen bat. Das war nicht ungewöhnlich. Auch wenn meine Großmutter sehr arm war, wußte die ganze Nachbarschaft, daß sie jedem, der an ihre Tür kam, etwas zu essen gab. Der Mann hatte einen Bart und wirres, schwarzes Haar; seine Kleider waren abgerissen und um den Hals trug er ein Kreuz aus Zweigen, zusammengebunden mit einer Schnur. Meine Großmutter lud ihn in ihre Küche ein, um etwas zu essen, und während er aß, fragte sie nach seinem Namen.
„Mein Name ist Jesus“, erwiderte er. „Haben Sie auch einen Nachnamen?“ bohrte sie weiter. „Ich bin Jesus, der Herr.“ (Meine Großmutter beherrschte die englische Sprache nicht allzu gut. Ein anderer Onkel, Isidor, erzählte mir später, daß er in die Küche kam, während der Mann noch am Essen war und Großmutter den Fremden als „Herr Derherr“ vorgestellt hatte.)
Während er weiter aß, fragte ihn meine Großmutter, wo er wohnte. „Ich habe kein Zuhause.“ „Ja, aber wo bleiben Sie dann heute nacht? Es ist kalt?“ „Ich weiß es nicht.“ „Möchten Sie gerne hierbleiben?“ bot sie an. Er blieb sieben Jahre lang. (Marshall Rosenberg)

Das ist Leben

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin und dass alles, was geschieht, richtig ist. Von da an konnte ich ruhig sein. Heute weiß ich: Das nennt man Vertrauen.

Als ich mich selbst zu lieben begann, konnte ich erkennen, dass emotionaler Schmerz und Leid nur Warnungen für mich sind, nicht gegen meine eigene Wahrheit zu leben. Heute weiß ich: Das nennt man Authentisch-sein.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, mich nach einem anderen Leben zu sehnen, und konnte sehen, dass alles um mich herum eine Aufforderung zum Wachsen war. Heute weiß ich: Das nennt man Reife.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, mich meiner freien Zeit zu berauben, und ich habe aufgehört, weiter grandiose Projekte für die Zukunft zu entwerfen. Heute mache ich nur das, was mir Spaß und Freude macht, was ich liebe und was mien Herz zum Lachen bringt, auf meine eigene Art und Weise und in meinem Tempo. Heute weiß ich: Das nennt man Ehrlichkeit.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich von allem befreit, was nicht gesund für mich war, von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen und von Allem, das mich immer wieder hinunterzog, weg von mir selbst. Anfangs nannte ich das „Gesunden Egoismus“, aber heute weiß ich: Das ist Selbstliebe.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen, so habe ich mich weniger geirrt. Heute habe ich erkannt: Das nennt man Demut.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben und mich um meine Zukunft zu sorgen. Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo alles stattfindet. So lebe ich heute jeden Tag und nenne es Bewusstheit.

Als ich mich zu lieben begann, da erkannte ich, dass mich mein Denken armselig und krank machen kann. Als ich jedoch meine Herzenskräfte anforderte, bekam der Verstand einen wichtigen Partner. Diese Verbindung nenne ich heute Herzensweisheit.

Wir brauchen uns nicht weiter vor Auseinandersetzungen, Konflikten und Problemen mit uns selbst und anderen fürchten, denn sogar die Sterne knallen manchmal aufeinander und es entstehen neue Welten. Heute weiß ich: Das ist Leben!
(Charlie Chaplin)